Implantate bei Kieferknochenschwund nach Parodontitis oder jahrelanger Zahnlosigkeit: Auch das ist heute machbar. Der modernen Kieferchirurgie stehen zahlreiche Materialien und Verfahren zur Knochenaugmentation zur Verfügung. Eine aufwändige Bastelei – aber es lohnt sich.

Warum der Kieferknochen schwindet

Knochenschwund im Kiefer kann im Wesentlichen auf zwei Wegen entstehen:

  • Durch Entzündungsprozesse, die entweder von einer bakteriell infizierten Zahnwurzel (apikale Parodontitis/Ostitis) – dann bleibt der Schwund lokal – oder vom Zahnfleischsaum (Parodontitis) ausgehen – dann ist oft genug der ganze Kieferknochen betroffen
  • Durch Nicht-Belastung des Kieferknochens bei Zahnlosigkeit

Im ersten Fall ist das Knochenangebot schon beim Zahnverlust nicht ausreichend für Implantate. Knochenaufbauende Maßnahmen können und sollten ergriffen werden – aber erst, sobald die Entzündung vollständig ausgeheilt ist.

Der zweite Fall ist vom Körper sogar “so gewollt”: Ein Knochen, der belastet wird (wie der Kieferknochen durch den Kaudruck, der sich über die Zahnwurzeln auf ihn überträgt), bleibt fest und stabil. Ein Knochen, der nicht mehr belastet wird, wird offenbar nicht mehr gebraucht und bildet sich daher allmählich zurück: er atrophiert. Mit jedem Jahr der Zahnlosigkeit verliert der Kieferknochen deutlich an Höhe und Breite. Daher ist es grundsätzlich ratsam, Implantate möglichst bald nach dem Zahnverlust zu setzen – später wird die Behandlung viel aufwändiger, wie Sie gleich lesen werden. Aber natürlich kann es finanzielle, persönliche oder sogar medizinische Gründe geben, die Implantatlösung hinauszuzögern.

Der Kieferknochen muss Implantaten genügend Platz bieten – in Höhe wie Breite

In einen atrophierten Kieferknochen kann man keine Implantate setzen. Der im Kieferkamm verfügbare Platz in Höhe wie Breite reicht einfach nicht aus, um die mindestens 8 Milimeter lange und 3,5 Millimeter breite künstlichen Zahnwurzel aufzunehmen. Einfach “tiefersetzen” funktioniert nicht, weil tiefer im Knochen größere Blutgefäße und Nerven verlaufen. Im seitlichen Oberkiefer droht zudem die Penetration der Kieferhöhlenwand durch das Implantat.

Kann man Knochenschwund reparieren?

Knochenschwund kann tatsächlich rückgängig gemacht werden! Knochen enthält nämlich lebende Zellen, die ständig neue Knochensubstanz produzieren. Und Vorläuferzellen dieser sogenannten Osteoblasten können angeregt werden, sich ebenfalls in Osteoblasten zu verwandeln. So ist Knochen in der Lage, zu wachsen und sich im Grunde beliebig zu regenerieren. Allerdings muss er eben zunächst zum Wachstum angeregt werden.  Und er benötigt eine Art Gerüst, an dem entlang die Osteoblasten zu neuen Ufern aufbrechen können.

Kieferknochenaugmentation

Bei der Kieferknochenaugmentation – so heißen Verfahren zur Reparatur von atrophiertem Knochen in der Fachsprache – geht es darum, ein solches Gerüst zu bauen, das möglichst auch wachstumsstimulierend wirkt. Als Gerüstmaterial kann Verschiedenes dienen:

  • körpereigener Knochen: kleine Mengen Knochenmehl, -späne oder -stückchen können von anderen Stellen des Kiefers “abgezweigt”, größere Mengen oder intakte Knochenblöcke zum Beispiel vom Beckenkamm gewonnen werden
  • Dentin (ebenso wie Knochen besteht Dentin aus Hydroxylapatit)
  • Spenderknochenmaterial
  • aufgearbeitetes Knochenmaterial anderer Spezies (überwiegend Rind und Schwein)
  • synthetisches Knochenmaterial aus Calciumphosphaten oder Calciumsulphaten, mikroporöses Acryl oder bioaktives Glas

Trotz Fortschritten auf dem Gebiet der Knochenersatzstoffe: Das beste, allerdings auch mit dem höchsten Aufwand verbundene Material für die Knochenaugmentation ist immer noch körpereigener Knochen. Nur menschlicher Knochen wirkt direkt stimulierend auf das Wachstum des atrophierten Kiefers. Es gibt allerdings auch die Möglichkeit, Knochenersatzmaterialien mit Wachstumsfaktoren, Knochenmarksextrakten oder anderen wachstumsanregenden Zusätzen aufzuwerten.

Ein Gerüst für das Knochenwachstum

Das meist kleinteilige Gerüstmaterial wird auf den freigelegten Kieferknochen aufgebracht oder in einen eigens geschaffenen Knochenspalt eingebracht. Fehlt besonders viel Knochen, kann es sehr sinnvoll sein, für die Augmentation größere Knochenstücke (Knochenblöcke) zu verwenden, die mit kleinen Schrauben am Zahn fixiert werden, und nur die Zwischenräume mit Knochenspänen oder -mehl aufzufüllen. Über der neu errichteten Knochenmatrix wird das Zahnfleisch entweder direkt wieder vernäht, oder es  wird zunächst eine resorbierbare Membran darübergespannt, die in der ersten Zeit das Einwachsen von Schleimhautgewebe verhindert.

Wenn alles komplikationsfrei verläuft, wandern bald die ersten Osteoblasten in die Matrix ein und machen sich daran, körpereigene Knochensubstanz zu bilden. Das Gerüstmaterial wird dabei entweder aufgelöst oder in den neuen Knochen inkorporiert, der nach einigen Monaten so belastbar ist, dass eine Implantationsbehandlung “ganz normal” beginnen kann. Und sollte (!) – denn wenn der augmentierte Knochen nicht bald belastet wird, atrophiert er oft deutlich schneller als der ursprüngliche Knochen! Alternativ können Implantate auch parallel zur Knochenaugmentation gesetzt werden – das erhöht allerdings das Risiko von Fehlschlägen.

Sinuslift – Platz für Implantate im seitlichen Oberkiefer

Ein Sonderfall der Kieferknochenaugmentation ist der Sinuslift oder Sinusbodenlift im seitlichen Oberkiefer. Dieser Eingriff wird sehr oft nötig, wenn Implantate im zahnlosen Oberkiefer gesetzt werden sollen. Besonders dramatisch wirkt sich Knochenschwund nämlich auf den seitlichen Oberkiefer aus, wo zwischen den Zahnfächern der Backenzähne und dem darüberliegenden Kieferhöhlen- (Sinus-) Hohlraum schon im gesund bezahnten Oberkiefer nur ein dünnes Knochenblatt liegt. Bei Zahnlosigkeit kann der Knochen hier so dahinschwinden, dass nur noch ein Blättchen von kaum einem Millimeter Dicke übrig ist. Dann ist natürlich an eine unmittelbare Implantationsbehandlung nicht zu denken – die Implantate würden auf der anderen Seite in die Kieferhöhle hineinragen…

Offener und geschlossener Sinuslift

Bei dem dann nötigen offenen Sinuslift wird die Kieferhöhle eröffnet und Knochen- oder Knochenersatzmaterial eingebracht, um den Oberkieferknochen von dort aus zu verdicken. Die Wartezeit, bis Implantate gesetzt werden können, beträgt dann vier bis acht Monate – fassen Sie sich in Geduld…

Ist der Oberkieferknochen  noch mindestens vier Millimeter hoch, ist auch ein geschlossener Sinuslift möglich. Dann wird ein Bohrloch bis dicht an die Kieferhöhlenwand vorgetrieben, die Wand mit Feingefühl nach oben eingedellt und der entstandene Hohlraum mit Knochen- oder Knochenersatzsubstanz gefüllt. Meist wird das Implantat gleich in das Bohrloch gesetzt . Die ersten vier Millimeter stecken ja immerhin in “altem” Knochen – bei geschlossener Einheilung stehen die Chancen für langfristigen Behandlungerfolg damit kaum schlechter als bei einer “normalen” Implantation.


(Foto: © Sergey Furtaev, shutterstock.com)

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