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Die Angst, sich mit dem Coronavirus zu infizieren, hat im vergangenen Jahr viele Menschen davon abgehalten, Vorsorgetermine beim Zahnarzt wahrzunehmen. Nicht wenige haben selbst bei Beschwerden den notwendigen Zahnarztbesuch hinausgezögert. Laut einer Befragung in Deutschland verschob dort etwa jeder Fünfte zwischen März und Juli 2021 wegen Corona einen anstehenden Zahnarzttermin.[1] Auf der anderen Seite haben auch zahlreiche Zahnarztpraxen über Wochen oder sogar Monate ihren Betrieb heruntergefahren.[2]

In vielen Praxen nur noch Notbetrieb

Ärzte wie Patienten konnten sich dabei durchaus auf offizielle Empfehlungen berufen: Im Sommer 2020 riet die Weltgesundheitsorganisation WHO angesichts der Pandemielage dazu, nur noch in Notfällen zum Zahnarzt zu gehen.[3] [4] (Die österreichische Zahnärztekammer hielt allerdings vehement dagegen – die nochmals verschärften Hygienestandards in den hiesigen Zahnarztpraxen seien streng genug, um im Interesse aller Patienten den Normalbetrieb fortsetzen zu können.)[5]

Trotzdem gab es auch in Österreich und Deutschland Zahnärzte, die sich entschieden, eine Zeitlang weder Routineuntersuchungen noch Zahnreinigungen anzubieten. Andere wollten weiter umfassend für ihre Patienten da sein, wurden aber von lokalen Coronaverordnungen (so in den deutschen Bundesländern Baden-Württemberg und Niedersachsen) zeitweise verpflichtet, nur noch Notfallbehandlungen anzubieten.[6] Dass das nicht folgenlos bleiben konnte, war abzusehen.

Frühjahr 2021: Ist der weltweite Zahn-Notstand da?

Mittlerweile gibt es erste Einblicke, welche Auswirkungen die Corona-Pandemie auf die Zahn- und Mundgesundheit gehabt haben könnte (Lesen Sie bitte auch unseren Artikel über die entgegengesetzte Richtung, „Zusammenhang zwischen Mundgesundheit und schweren Corona Verläufen„). Dr. G. K. Seeberger, Präsident des Weltverbandes der Zahnärzte FDI, fand dafür Ende März deutliche Worte: Er nannte die Folgen „a dental disaster“ – „eine zahnmedizinische Katastrophe“.

Die diesbezügliche Veröffentlichung des FDI zitiert alarmierende Beobachtungen einzelner FDI-Ratsmitglieder: Zahnärzte aus Portugal, Indien, Ägypten und Kolumbien berichteten von weit fortgeschrittenen Karieserkrankungen, die Zahnextraktionen und Wurzelbehandlungen notwendig machten, von schwerer Parodontitis, von Rückschlägen bei kieferorthopädischen Behandlungen aufgrund versäumter Termine – und von mehr Karies bei Kindern und Jugendlichen.[7]

Pandemiebedingte Disruption des Alltags

 Nicht nur weniger Zahnarztbesuche, auch viele Facetten der pandemiebedingten Disruption des Alltags gefährden die Mundgesundheit. Erfahrungen amerikanischer Zahnärzte listete die Zeitschrift „Dentistry Today“ im Februar auf – und lieferte auch gleich glaubhafte Hypothesen zu den Ursachen.[8] Die Kollegen sehen bei ihren Patienten

  • mehr weiche und harte Zahnbeläge, u.a. aufgrund längerer Intervalle zwischen Vorsorge- und Zahnhygieneterminen
  • mehr Abnutzungserscheinungen, Absplitterungen und Zahnfrakturen wegen stressbedingten Zähneknirschens und -pressens
  • verstärkte Mundtrockenheit infolge des Maskentragens (damit geht ein höheres Kariesrisiko einher) und
  • verstärkte Demineralisierung aufgrund veränderter Essgewohnheiten im Homeoffice (sprich: häufigere Snackpausen). (siehe auch: „Nicht zu schnell nach dem Essen Zähneputzen„)

Berichte einzelner Zahnärzte sind interessant und aufschlussreich, keine Frage. Ein objektives Gesamtbild der Lage können sie aber nicht zeichnen – dafür braucht es repräsentative Untersuchungen größerer Bevölkerungsgruppen.

Repräsentative Studien zu den Corona-Folgen für die Mundgesundheit brauchen Zeit

Bislang existieren keine Studien, die Daten zur Mundgesundheit vor und während der Pandemie vergleichen. Das ist nicht verwunderlich: Solche Untersuchungen sind methodisch aufwändig und kosten viel Zeit. Die jüngste deutsche Mundgesundheitsstudie beispielsweise wurde von 2013 bis 2014 durchgeführt und 2016 vorgestellt. Ihre aktuelle Nachfolgestudie läuft von 2021 bis 2023, die Auswertung wird sicherlich bis 2025 dauern – schnelle Antworten sind also illusorisch.[9]

Selbst genaue Daten dazu, wie viele oder wenige Zahnarztbesuche es nun während der Pandemie gab, sind schwierig zu ermitteln. Brasilien, wo große Teile des Gesundheitswesens in öffentlicher Hand liegen und Daten deshalb leichter verfügbar sind, meldete für das erste Halbjahr 2020 gegenüber dem gleichen Zeitraum 2019 zwei Drittel weniger Zahnarztbehandlungen.[10]

Mundgesundheit in China während der Pandemie

Ein skizzenhaftes Bild der Lage an der Mundgesundheitsfront vermittelt eine erste im März 2021 veröffentlichte chinesische Studie. Viele chinesische Städte standen im vergangenen Jahr unter monatelangen umfassenden Lockdowns. So begann der komplette Lockdown in Wuhan, dem Epizentrum der Pandemie, am 23. Januar und dauerte 76 Tage. Aus Infektionsschutzgründen war in diesen Zeiten auch die Zahnmedizin strengen Einschränkungen unterworfen. Basierend auf den Selbstauskünften von 3352 Personen, denen ein Fragebogen zugesandt worden war, beziffert die Studie den Anteil der Menschen in China, die während der Pandemie an Zahn- oder Zahnfleischproblemen litten, mit fast 60 %. Rund 20 % gaben an, bestehende Mundgesundheitsprobleme hätten sich im Laufe der Pandemie verschlimmert. Am häufigsten litten die Befragten unter Zahnfleischbluten und Mundgeruch, gefolgt von Aphten, Zahnfleischschwellungen und Zahnschmerzen.

Die überwiegende Mehrheit der Betroffenen unternahm nichts, um ihre Beschwerden zu adressieren; lediglich 10 % suchten im Rahmen einer Notfallbehandlung einen Zahnarzt auf, weitere 10 % nahmen Online-Sprechstundenangebote wahr. Auf die Frage, wie sie in Zukunft mit Mundgesundheitsproblemen umgehen würden, zeigten sich die Studienteilnehmer nachhaltig verunsichert: 35 % wollten weiterhin nur im äußersten Notfall einen Zahnarzt aufsuchen, und fast 7 % schlossen den Zahnarztbesuch bis auf Weiteres vollkommen aus.[11]

Infektionsrisiko beim Zahnarzt vs. Risiken schlechter Mundgesundheit

Das Infektionsrisiko für Zahnärzte und ihre Patienten wurde im Laufe der Pandemie vielfach thematisiert. Keine Wunder: Für eine durch Aerosole übertragene Infektion scheint eine zahnärztliche Behandlung wirklich ausgesprochen kritisch zu sein. Allerdings sieht es so aus, als wären die Hygienemaßnahmen in modernen Zahnarztpraxen diesen Risiken sehr wohl gewachsen. So fand eine repräsentative Stichprobe unter US-amerikanischen Zahnärzten im Sommer vergangenen Jahres eine Covid-19-Infektionsrate von lediglich 0,9 % – ein im Vergleich mit der Gesamtbevölkerung niedriger Wert; zudem waren die meisten dieser Infektionen auf das private Umfeld der Ärzte zurückzuführen.[12]

Dagegen gibt es mittlerweile so viele Hinweise auf Zusammenhänge zwischen Covid-19 und Mund-, speziell Zahnfleischgesundheit, dass Zahnfleischentzündungen bzw. Parodontitis nun als Risikofaktoren für schwere und tödliche Verläufe einer Covid-19-Infektion gewertet werden.[13] Abzuwägen ist also zwischen dem (kleinen) Infektionsrisiko, das der Besuch beim Zahnarzt darstellt, und den (erheblichen) Risiken schlechter Mundgesundheit – allgemein und ganz konkret mit Bezug auf das Coronavirus.

Zahnärztliche Vorsorge ist essentiell!

Bei MeinZahn tun wir alles, um aerosolbedingte Infektionsrisiken für Patienten und Praxisteam zu minimieren: Von der antiviralen Spüllösung vor allen Untersuchungen und Behandlungen über umfassende persönliche Schutzausrüstung und gewissenhafteste Oberflächendesinfektion bis hin zur Ausweitung der Indikationen für die Behandlung unter Kofferdam haben wir unsere Hygienestandards wirklich wasser- (bzw. aerosol-)dicht gemacht. Gute Gründe, um gleich den nächsten Vorsorgetermin zu vereinbaren!

 

[1]A. Hajek et al.: Postponed Dental Visits during the COVID-19 Pandemic and their Correlates. Evidence from the Nationally Representative COVID-19 Snapshot Monitoring in Germany (COSMO). Healthcare 5.1.2021  https://www.mdpi.com/2227-9032/9/1/50/htm

[2]Werner Bartens: Volle Praxis trotz Pandemie. Süddeutsche Zeitung 2.4.2020 https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/coronavirus-hausarzt-zahnarzt-wartezimmer-1.4863157

[3]Considerations for the provision of essential oral health services in the context of COVID-19. Pressemitteilung der WHO 3.8.2020 https://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/333625/WHO-2019-nCoV-Oral_health-2020.1-eng.pdf?sequence=1&isAllowed=y

[4]Neue WHO-Richtlinie: Was es bei Zahnarztbesuchen zu beachten gilt. Kurier 12.8.2020 https://kurier.at/wissen/gesundheit/coronavirus-neue-who-richtlinie-was-es-bei-zahnarztbesuchen-zu-beachten-gilt/400998152

[5]Coronavirus: Zahnarzttermin verschieben in Österreich nicht notwendig. Kurier 14.8.2020 https://kurier.at/wissen/gesundheit/coronavirus-zahnarzttermin-verschieben-in-oesterreich-nicht-notwendig/401000777

[6]Leonie Unkelbach: Berufsausübung in Zeiten von COVID-19. DZW 19-20/2020 https://dzw.de/berufsausuebung-zeiten-von-covid-19

[7]Dental disaster: One year after first lockdowns dentists around the world confront the consequences of the COVID-19 pandemic on people’s oral health. Pressemitteilung des FDI 18.3.2021 https://www.fdiworlddental.org/dental-disaster-one-year-after-first-lockdowns-dentists-around-world-confront-consequences-covid-19

[8]Karen Davis: COVID-19 Impacts Oral Health—Even If You Don’t Acquire the Viral Infection. Dentistry Today 8.2.2021 https://www.dentistrytoday.com/news/todays-dental-news/item/7778-covid-19-impacts-oral-health-even-if-you-don-t-acquire-the-viral-infection

[9]Sechste Deutsche Mundgesundheitsstudie gestartet. Pressemitteilung der Bundeszahnärztekammer 28.1.2021 https://www.bzaek.de/presse/presseinformationen/presseinformation/sechste-deutsche-mundgesundheitsstudie-gestartet.html

[10]M.B. Fernandez dos Santos et al.: Impact of COVID-19 pandemic on oral health procedures provided by the Brazilian public health system: COVID-19 and oral health in Brazil. Health Policy and Technology März 2021 https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2211883721000046

[11]Shuang Zhang et al.: Impact of COVID-19 on the oral health of adults in Wuhan and China: results of a nationwide online cross-sectional questionnaire survey. BMC Oral Health 26. März 2021 https://bmcoralhealth.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12903-021-01533-z

[12]US-Längsschnittstudie: SARS-CoV-2: So hoch ist das Infektionsrisiko für Zahnärzte in den USA! ZM Online 27.10.2020 https://www.zm-online.de/news/praxis/sars-cov-2-so-hoch-ist-das-infektionsrisiko-fuer-zahnaerzte-in-den-usa/

[13]H. Larvin et al: The Impact of Periodontal Disease on Hospital Admission and Mortality During COVID-19 Pandemic. Frontiers in Medicine 23.11.2020 https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fmed.2020.604980/full