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Patienten mit chronischen Zahnfleischentzündungen haben ein höheres Risiko, schwer an Covid-19 zu erkranken und langsamer zu genesen.

In den letzten Monaten gab es in angesehenen Wissenschaftsjournalen eine Reihe von Publikationen, deren Autoren auf einen Zusammenhang zwischen angegriffener Mundgesundheit – speziell Zahnfleischentzündungen bzw. Parodontitis – und schweren, langwierigen Corona-Verläufen hinwiesen.

Parodontitis gehört zu den häufigsten chronischen Erkrankungen. Etwa 50 % aller Erwachsenen leiden an einer milden bis moderaten Form, die in erster Linie das Zahnfleisch angreift, und etwa 10 % an einer schweren Parodontitis, in deren Verlauf der Kieferknochen zerstört wird.

Schwere Corona-Verläufe: Akutes Lungenversagen und/oder multiples Organversagen

Eine Infektion mit dem Corona-Virus kann von Fall zu Fall sehr unterschiedliche Folgen haben. Um die 80 % der Betroffenen werden damit relativ unproblematisch fertig: Diese Infizierten haben entweder gar keine Symptome oder machen eine Erkrankung durch, die einer milden Grippe ähnelt. Ein gewisser Anteil der Betroffenen aber – dieser Anteil wächst mit zunehmendem Lebensalter und mit dem Vorliegen bestimmter Risikofaktoren – entwickelt einen schweren oder sogar kritischen Krankheitsverlauf. Die mit Covid-19 assoziierten schweren Krankheitsverläufe sind

  • die sogenannte atypische Pneumonie: eine schwere Lungenentzündung, bei der sich das Lungengewebe entzündungsbedingt mit Flüssigkeit füllt; im Extremfall tritt akutes Lungenversagen auf, und betroffene Patienten müssen künstlich beatmet werden
  • multiples Organversagen und Sepsis: hier sind weitere Organe wie etwa Herz und Nieren durch das Virus befallen und werden schwer geschädigt

Im Zuge kritischer Corona-Krankheitsverläufe tritt sehr oft ein sogenannter Zytokinsturm auf: Im Rahmen der Virusbekämpfung schüttet das Immunsystem so viele „Kampfstoffe“ – eben diese Zytokine – aus, dass der Körper selbst zum Kollateralschaden wird. Dann zerstört eine sich immer weiter aufschaukelnde, nicht mehr steuerbare Immunabwehr Organe und Gewebe. Ein Zytokinsturm ist die typische Ursache des akuten Lungen- wie des Multiorganversagens und damit für die meisten Covid-Todesfälle verantwortlich.

Risikofaktoren für schwere Verläufe: Zahnfleischerkrankungen gehören wohl dazu

Als Risikofaktoren für schwere Verläufe einer Corona-Erkrankung gelten Übergewicht, Bluthochdruck, Herz- und Gefäßerkrankungen und Diabetes – ein Problemkomplex, der häufig im Paket auftritt und von Fachleuten als Metabolisches Syndrom bezeichnet wird. Einiges deutet darauf hin, dass Zahnfleischprobleme im Sinne chronischer oder wiederkehrender Entzündungen von Zahnfleisch und Zahnhalteapparat ebenfalls zu den Risikofaktoren gezählt werden können. Und dies möglicherweise nicht nur durch ihre Assoziation mit anderen Faktoren (Diabetiker haben z.B. häufig auch Parodontitis), sondern auch für sich allein.

Die Daten – 1. Achtmal mehr Patienten mit schlechter Mundgesundheit als Patienten mit guter Mundgesundheit erleiden schwere Corona-Verläufe

Eine im Fachmagazin British Dental Journal veröffentlichte Studie betrachtete die Krankheitsverläufe von 308 genesenen Corona-Patienten im Alter zwischen 19 und 55 Jahren und erfragte gleichzeitig Daten zur Mundgesundheit der Studienteilnehmer.[1] Um den Effekt des Risikofaktors Mundgesundheit möglichst klar herauszuarbeiten, wurden Patienten, bei denen andere bekannte Risikofaktoren wie starkes Übergewicht, Diabetes, Bluthochdruck und Herzkreislauferkrankungen vorlagen, explizit ausgeklammert; auch ältere Patienten nahmen nicht an der Studie teil. Die Auswertung der per Fragebogen erhobenen Daten spricht eine deutliche Sprache: Unter den Patienten mit schweren Corona-Verläufen, langen Genesungszeiten und Laborwerten, die auf einen Zytokinsturm hinwiesen, waren jene mit schlechter Mundgesundheit signifikant in der Überzahl, während Patienten mit milden Verläufen, kurzen Genesungszeiten und günstigen Laborwerten überwiegend eine gute oder akzeptable Mundgesundheit aufwiesen. Von den 64 Studienteilnehmern mit schlechter Mundgesundheit erlebten acht von zehn (insgesamt 52 Patienten) einen schweren Corona-Verlauf, während dies bei den 78 Teilnehmern mit guter Mundgesundheit nur auf rund einen von zehn (8 Patienten) und bei den 166 Teilnehmern mit akzeptabler Mundgesundheit auf 1,25 von zehn (20 Patienten) zutraf.

Die Daten – 2. 80 % der Corona-Patienten mit schweren Komplikationen haben Parodontitis

Eine weitere Studie untersuchte den Zusammenhang zwischen einer Parodontitis-Erkrankung und der Schwere des Verlaufs der Corona-Erkrankung bei 568 Corona-positiven Krankenhauspatienten.[2] Einbezogen wurden nur Patienten, für die aktuelle Röntgenaufnahmen von Zähnen und Zahnhalteapparat vorlagen. Vierzig Infizierte erlitten einen schweren Corona-Verlauf, d.h. sie mussten intensivmedizinisch behandelt werden, vierzehn starben.

258 Studienteilnehmer hatten Parodontitis, 310 nicht, das entspricht einem Gesamtanteil von rund 45 % Parodontitis-Erkrankter – in etwa die Parodontitis-Häufigkeit in der Gesamtbevölkerung. Unter den 40 Patienten mit schweren Corona-Verläufen war der Anteil Parodontitis-Erkrankter auf über 80 % (33 Patienten) erhöht!

Anders als in der vorigen Studie wurden hier Patienten mit weiteren Risikofaktoren nicht „aussortiert“ – bei 35 der 40 schwer Erkrankten lagen ein oder zwei zusätzliche Risikofaktoren vor. Insofern sind die Resultate quantitativ nicht direkt mit den zuvor beschriebenen vergleichbar – aber die Tendenz ist ganz eindeutig dieselbe.

Die Hypothesen: Mögliche Ursachen

Es ist bekannt, dass chronische Entzündungen im Mundraum eine Eintrittpforte für Bakterien und Viren in den Körper bilden. Darüber hinaus gelangen auch immunaktivierende Signalstoffe von der Mundhöhle aus mit dem Blut in den gesamten Körper.

Mediziner haben im Wesentlichen drei Hypothesen, wie das die Schwere einer Covid-19-Erkrankung beeinflussen könnte.

  1. Erhöhte Viruslast und erhöhtes Covid-Infektionsrisiko
    Die für eine Parodontitis-Erkrankung typischen Zahnfleischtaschen bilden nicht nur für Bakterien, sondern auch für Viren ein geschütztes Reservoir. Auch Coronaviren könnten sich in den Taschen ungestört vermehren und den Körper von dort aus in größeren Mengen attackieren.[3]
  1. Bakterien
    Parodontitis-Bakterien können von der Mundhöhle aus durch Einatmen in die Lunge gelangen und die durch die Corona-Infektion geschwächte Lunge zusätzlich belasten.[4]
  1. Zytokinsturm
    Im Zusammenhang mit einer nicht oder unzulänglich behandelten Parodontitis-Erkrankung wird das Immunsystem durch Bakterien und immunaktivierende Signalstoffe, die aus der Mundhöhle in den Körper gelangen, chronisch in einen alarmierten Zustand versetzt. Die gesundheitlichen Konsequenzen dieser permanenten unterschwelligen Entzündung sind, wie man heute zunehmend versteht, sehr vielfältig. Es gibt deutliche Hinweise, dass eine unbehandelte Parodontitis Diabetes, Arteriosklerose und Autoimmunerkrankungen wie Rheuma verschlimmert und möglicherweise sogar eine Alzheimererkrankung auslösen kann. Die Covid-Forschung hält es auch für denkbar, dass ein bereits voralarmiertes Immunsystem eher zu einer überschießenden Reaktion auf eine Corona-Infektion neigt: Die entzündungsfördernden Stoffe, die bei einem Zytokinsturm im Blut in stark erhöhten Mengen gefunden werden, sind auch bei einer Parodontitis-Erkrankung in geringeren, aber ebenfalls signifikant erhöhten Mengen bereits da.[5]

Parodontitis-Behandlung auf gar keinen Fall vernachlässigen!

Wenn Sie an chronischen Entzündungen des Zahnhalteapparats halten, ist das damit verbundene erhöhte Risiko von Corona-Komplikationen ein Grund mehr – sofern Sie noch einen brauchen – die regelmäßigen Kontroll- und Zahnreinigungstermine unter Pandemiebedingungen erst recht nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.

Wie eigentlich alle Zahnarztpraxen in Österreich haben wir unsere Hygieneprotokolle noch einmal verschärft. Lassen Sie sich also bitte nicht durch die Angst vor einer möglichen Corona-Infektion vom Zahnarztbesuch abhalten!

 

[1]The impact of oral health status on A.H.M Kamel et al.: COVID-19 severity, recovery period and C-reactive protein values. British Dental Journal 24.2.2021 https://www.nature.com/articles/s41415-021-2656-1

[2]N. Marouf et al.: Association between periodontitis and severity of COVID-19 infection: A case–control study. Journal of Clinical Periodontology 1.2.2021 https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/jcpe.13435

[3]Z. Badran et al.: Periodontal pockets: A potential reservoir for SARS-CoV-2? Medical Hypotheses 30.5.2020 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7833827/

[4]Y. Takahashi et al.: Aspiration of periodontopathic bacteria due to poor oral hygiene potentially contributes to the aggravation of COVID-19. Journal of Oral Science 23.12.2020 https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33177276/

[5]V. Sahni, S. Gupta: COVID-19 & Periodontitis: The cytokine connection. Medical Hypotheses 30.5.2020 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7832148/