Bis vor einigen Jahren waren Titan und Titanlegierungen eigentlich das einzige Material, das für Zahnimplantate in Frage kam. Das war nicht immer so – und ist auch heute schon wieder etwas anders. In den 1960er und 1970er Jahren wurden eine Reihe von Implantatsystemen auf Basis von Aluminiumoxid-Keramiken entwickelt und eingesetzt. Titan konnte sich aber wegen seiner hohen Festigkeit, hervorragenden Stabilität, Korrosionsbeständigkeit und im Regelfall tadellosen Verträglichkeit gegenüber diesen Materialien durchsetzen.
Welche Gründe könnte es heute geben, Alternativen zu Titan in Erwägung zu ziehen?
- Titanallergie bzw. -unverträglichkeit
Die Fachliteratur beschreibt Fälle von Titanallergien beziehungsweise -unverträglichkeiten: Bei einigen Patienten verursacht das Material der Implantate – entweder Titan selbst oder einer der anderen Bestandteile einer Titanlegierung – unkontrollierbare Entzündungsreaktionen.
Auf Titanallergie kann im Vorfeld der Implantationsbehandlung getestet werden – dann muss zwingend nach Alternativen gesucht werden. Eine potentielle Überempfindlichkeit zeugt sich dagegen im klassischen Allergietest nicht als Hautreizung und kommt daher stets als böse Überraschung. Das klingt (und ist) sehr unerfreulich – ist aber wirklich selten und tritt praktisch nur bei immunologisch ohnehin auffälligen Patienten auf.
Trotzdem: Unverträglichkeiten gegenüber Zirkonoxid – dem keramischen Grundstoff, aus dem heute nicht nur Zahnersatz, sondern auch wieder Keramik-Implantate gefertigt werden – sind bislang noch nie aufgetreten. Das heißt auch wieder nicht, dass sie prinzipiell unmöglich wären. Aber das Unverträglichkeitspotential des Materials scheint jedenfalls noch geringer als das ohnehin schon geringe von Titan zu sein – Plus Nummer Eins von Keramik.
- Plaqueaffinität von Titan
Wenn Sie sich Sorgen machen wollen, machen Sie sich lieber Sorgen darum, dass Sie Ihre Implantate durch Periimplantitis, eine durch bakteriellen Plaque auf dem Implantat verursachte Entzündung von Zahnfleisch und Kieferknochen, verlieren könnten: Das kommt im Vergleich schon deutlich häufiger vor.
Bakterien haben gar nichts dagegen, sich auf freiliegendenTitanoberflächen anzusiedeln – noch dazu, wenn sie schön aufgeraut sind, um die Osseointegration zu fördern. Zweites Keramik-Plus: Bei vergleichbarer Oberflächenrauigkeit bildet sich auf Zirkonoxid weniger Plaque als auf Titan.
Keramik ist grundsätzlich ein geeignetes Material für Implantate
Studien mit Keramikimplantaten haben mittlerweile überzeugend nachgewiesen, dass Keramik ebenso gut in den Knochen integriert wird wie Titan und ähnliche längerfristige Erfolgsraten erreicht (das Thema ist neu, deshalb überschreiten die Beobachtungszeiten fünf Jahre bislang noch nicht). In den ersten Monaten nach der Implantation gibt es bei einteiligen Keramik-Implantaten allerdings etwas erhöhte Verlustraten zu beklagen.
Ist die Einheilphase ohne Probleme überstanden, sitzt auch ein Keramik-Implantat fest im Kiefer. Durch die geringere Bakterienbesiedlung von Keramik dürfte jetzt das Komplikationsrisiko durch Periimplantitis sogar niedriger sein als bei einem Titanimplantat. Einteilige Implantate sind zudem innen nicht hohl – entsprechend können auch keine Bakterien durch Mikrospalten eindringen und Ärger machen.
Nachteile von einteiligen Keramikimplantaten
Bis vor kurzem gab es nur einteilige Keramik-Implantate: Implantat und Abutment (der Implantataufbau, der später Krone, Brücke oder Prothese trägt) sind fest miteinander verbunden. Das erfordert die offene Einheilung: Schon während der Einheilphase ragt das Abutment, durch eine Abdeckung geschützt, ein Stück aus dem Zahnfleisch heraus. Dadurch ergibt sich die Gefahr, dass das Implantat beim normalen “Kaubetrieb” in der Mundhöhle immer wieder bewegt wird – und das stört die Osseointegration erheblich. Außerdem ergibt sich durch die offene Einheilung ein erhöhtes Infektionsrisiko.
Abgesehen von den Nachteilen der offenen Einheilung haben einteilige Implantate noch einen weiteren Nachteil: Das Abutment kann nicht ausgetauscht werden. Bei zweiteiligen Implantaten kann ein abgenutztes Abutment relativ einfach gewechselt werden. Ändert sich die orale Situation, kann zudem ein und dasselbe Implantat durch Wechsel auf ein anderes Abutment eine Brücke oder Prothese anstelle einer Krone tragen. Das ist bei einteiligen Implantaten so nicht möglich.
Die beschriebenen Nachteile sind aber die Nachteile einteiliger Implantate. Mit dem Material Keramik haben sie nichts zu tun.
Zweiteilige Keramik-Implantate
Heute stehen auch zweiteilige Keramikimplantate zur Verfügung. Sie haben die gleichen Vorteile wie zweiteilige Titanimpantate: geschlossene Einheilung und einfaches Austauschen von Abutments (Keramik-Abutments werden allerdings häufig eingeklebt – und dann ist das mit dem einfachen Austauschen doch nicht mehr ganz so einfach).
Bleibt noch die erhöhte Bruchgefahr: Keramik ist spröder als Titan, und es kann schon einmal vorkommen, dass ein Keramik-Implantat im Kiefer bricht. Durch Weiterentwicklungen des Materials (Zirkonoxid-Keramik bietet da sowohl in der physikalischen Präparation des Materials als auch hinsichtlich von Zusätzen anderer Materialien viele Ansatzpunkte) sind hier allerdings bereits wichtige Verbesserungen erreicht worden: So zeigt etwa sogenannte ATZ-Keramik aus Aluminiumoxid-verstärktem Zirkonoxid verbesserte Härte, Biegefestigkeit und Elastizität.
Um der etwas geringeren Belastbarkeit von Keramik Rechnung zu tragen, gab es bis vor kurzem zu Keramik-Implantaten keine abgewinkelten Abutments. Das schränkte die Zahl der Freiheitsgrade, die dem Implantologen bei der Planung von Kronen- und Brückenlösungen zur Verfügung standen, gegenüber den Möglichkeiten von Titanimplantaten deutlich ein. Aber auch das hat sich geändert: Hersteller von Keramik-Implantaten wie z-systems oder Zeramex bieten heute nicht nur zweiteilige Implantatsysteme, sondern auch abgewinkelte Abutments an.
Fazit
Alles in allem sind Keramik-Implantate durchaus ein spannendes Thema. In den letzten Jahren haben sie viele ihrer anfänglichen Schwächen überwunden. Insbesondere zweiteilige Keramik-Implantate kann man mittlerweile als Alternative zu Titan mit gutem Gewissen empfehlen.
Momentan inszenieren die Hersteller Keramik-Implantate als eine Art Luxus-Alternative. Ob sich der teils durch die Herstellungskosten bedingte deutlich höhere Preis für Patienten tatsächlich auszahlt, halte ich persönlich für recht fraglich.
P.S. Sind Keramik-Implantate wirklich metallfrei?
Zum Schluss noch eine Dosis Wortklauberei: Zirkonium ist ein Schwermetall – und das sieht man ihm in seiner elementaren Form auch deutlich an. Da glänzt es nämlich ähnlich silbern wie Titan. Insofern ist die Formulierung der Hersteller, Implantate aus Zirkonoxid seien metallfrei, etwas irreführend: Schließlich enthalten sie Zirkonium. Aber eben nicht in seiner metallischen, elementaren Form, sondern als Oxid. Und Zirkonoxid ist wirklich kein Metall: Es leitet den elektrischen Strom nicht und Wärme schlecht, glänzt nicht metallisch und ist nicht plastisch verformbar. Damit ist die Bezeichnung “metallfrei” im Zusammenhang mit Zirkonoxid-Implantaten nicht nur gebräuchlich, sondern auch durchaus korrekt.
(Foto: © Antonio Guillem, shutterstock.com)
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