Ein toter Zahn kann zu einem sogenannten Herd werden: Wenn er in seinem geschützten Innern Bakterien beherbergt, die durch die Öffnung an der Wurzelspitze das umliegende Kiefergewebe attackieren. Dann droht eine besondere Form der Parodontitis, die Parodontitis apicalis. Die auch als Wurzelspitzenentzündung bezeichnete Erkrankung bedroht die Stabilität des Zahns, die Gesundheit des Kieferknochens und kann sogar Auswirkungen auf den ganzen Organismus haben.
Nach Wurzelkanalbehandlung oder nach unbehandelter Pulpitis
Ein toter oder, freundlicher gesagt, devitaler Zahn ist ein Zahn ohne vitale Pulpa: Die Blutgefäße und Nerven, die das Zahninnere mit Kreislauf und Nervensystem verbinden, gibt es nicht mehr.
Grundsätzlich kann ein Zahn seine Pulpa auf zwei Wegen verlieren: Entweder sie wurde im Zuge einer Wurzelkanalbehandlung komplett entfernt und durch eine (hoffentlich dichte) Füllung ersetzt. Oder sie ist in Folge einer massiven bakteriellen Infektion (Pulpitis) durch eine fortgeschrittene penetrierende Karies abgestorben. In diesem Fall wird sie günstigenfalls durch körpereigenes Bindegewebe ersetzt – ungünstigenfalls (und das ist leider der Normalfall) durch eine höchst vitale Bakterienpopulation, die sich von dem abgestorbenen Gewebe ernährt.
Zu Zeiten, als es noch keine Wurzelkanalbehandlungen gab, in Gegenden, wo qualifizierte Zahnärzte rar sind oder für Menschen, die mit dem Zahnarzt so auf Kriegsfuß stehen, dass sie lieber eine schmerzhafte Pulpitis erdulden als Behandlung zu suchen, war beziehungsweise ist das Absterben der Pulpa zunächst eine Erleichterung: Meist hören die bohrenden Zahnschmerzen jetzt erst einmal auf. Aber das heißt natürlich noch lange nicht, dass wieder alles in Ordnung wäre.
Bakterienattacke aus dem Zahn
Bakterien aus der abgestorbenen Pulpa, aber auch aus im Zuge einer Wurzelkanalbehandlung unvollständig gereinigten oder undicht gefüllten Wurzelkanälen können durch den Ausgang der Wurzelkanäle an der Wurzelspitze in das umliegende Binde- und Knochengewebe eindringen. Hier werden sie von den Agenten des Immunsystems bemerkt und bekämpft: Es kommt zu einer Entzündung.
Da den Bakterien aber mit dem infizierten Zahninnern ein “Rückzugsraum” zur Verfügung steht, der vom Immunsystem nur sehr unvollkommen kontrolliert werden kann, kämpfen die Immunzellen einen fast aussichtslosen Kampf. Immer wieder wandern neue Bakterien ein, und das Gewebe um die Wurzelspitze wird zum permanenten Kriegsschauplatz.
Kollateralschäden: Granulom, Abszess, Fistel, Schwund des Kieferknochens
Dabei kommt es zu jeder Menge Kollateralschäden: Die von den Zellen der Immunabwehr freigesetzten Substanzen schaden nicht nur den Bakterien, sondern auf Dauer auch dem körpereigenen Gewebe. Knochen und normales Bindegewebe lösen sich langsam auf. Rund um die Zahnwurzel bildet sich krankhaftes Bindegewebe, ein sogenanntes Granulom. Später versucht der Körper oft, den Entzündungsort durch Einkapseln zu isolieren: dann spricht man von einem Abszess.
Je nach Größe und Lage der Entzündung kann der gebildete Eiter – ein Gemisch aus eingeschmolzenen Zellen, Immunzellen, Lymphflüssigkeit, Erregern und abgestorbenen Erregern – seine Umgebung ziemlich unter Druck setzen. Neben sichtbaren Schwellungen kann es auch zu einer scheinbaren Verlängerung des Zahns inklusive Schmerzen beim Zubeißen kommen: Das beherdete Beißwerkzeug überragt seine Nachbarn, weil es auf einem großen Eiterkissen sitzt. Wird der Druck im Abszess zu groß, entleert sich der Eiter durch eine neu aufbrechende Öffnung, eine sogenannte Fistel, in die Mundhöhle.
Eine seltene Folge einer solchen Wurzelspitzenentzündung ist die Entstehung einer Zyste: Reste des embryonalen zahnbildenden Gewebes, die noch an der Zahnwurzel kleben, werden durch die chronische Entzündung “aufgeweckt” und beginnen zu wachsen.
Schmerzhaft oder schleichend – und irgendwann wackelt der Zahn
Diese Entzündungsprozesse können wie beschrieben durch Schmerzen, Schwellung, Rötung und Druckempfinden auf sich aufmerksam machen – dann spricht man von einer akuten Pulpitis apicalis. Oder sie schreiten langsam, schleichend, (fast) ohne Symptome voran – dieser Verlauf wird als chronische Pulpitis apicalis bezeichnet.
Letztere fällt zufällig bei einer Röntgenaufnahme ins Auge – oder sie wird doch irgendwann symptomatisch. Akute und chronische Pulpitis apicalis unterscheiden sich ansonsten gar nicht grundsätzlich (auch die akute Pulpitis apicalis ist strenggenommen chronisch, heilt also keineswegs von selbst) – und führen unbehandelt meist zum gleichen Ergebnis: Früher oder später schwindet der Kieferknochen so weit, dass der Zahn wackelt.
Und übrigens: Bakterien, Bakteriengifte und Entzündungsboten können vom beherdeten Zahn aus in den Blutkreislauf gelangen und auch anderswo im Körper Schaden anrichten. Herz- und Gefäßerkrankungen, Nierenleiden und rheumatische Erkrankungen sind nur einige der systemischen Leiden, für die heute Zusammenhänge mit chronischen Entzündungen im Bereich von Zahnwurzeln und Kiefer belegt sind.
Da hilft nur eine Wurzelkanalbehandlung
Für das geschilderte, rundum unerfreuliche Krankheitsbild gibt es nur eine Therapie: Eine Wurzelkanalbehandlung. Wurde bereits einmal eine Wurzelkanalbehandlung durchgeführt (mit offensichtlich mäßigem Erfolg), spricht man bei der nun fälligen Zweitbehandlung von einer Revision. In jedem Fall sind Sie jetzt bei einem Spezialisten für Endodontie in den besten Händen.
Die Wurzelspitzenresektion – das “Kappen” der Wurzelspitze – ist dagegen nur dann nötig, wenn sich wirklich eine echte Zyste gebildet hat: Die werden Sie nur auf diesem Wege mit Sicherheit los. Aber das ist zum Glück ein seltener Fall – Granulome, Abszesse und Fisteln heilen nach einer gewissenhaften Wurzelkanalbehandlung wieder ab. Und auch der Kieferknochen kann sich wieder regenerieren, sobald die Entzündung gestoppt ist.
Siehe auch: Parodontologie | Endodontie mit dem Operationsmikroskop | Ablauf einer Wurzelkanalbehandlung